Von „Nein“ bis Schmerz – was Strafe im Hundetraining bedeutet
- Viktoria

- 15. Apr.
- 5 Min. Lesezeit

„Strafe“ – kaum ein anderes Wort löst in Diskussionen rund um Hundetraining so viele Emotionen aus. Die einen lehnen sie grundsätzlich ab, die anderen sehen sie als unverzichtbar. Was dabei häufig übersehen wird: Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen dem menschlichen Strafverständnis und dem, was in der Lerntheorie tatsächlich mit „Strafe“ gemeint ist. Und noch viel wichtiger: Nicht jede Strafe ist gleichzusetzen mit Schmerz, Angst oder Gewalt. Aber genau das passiert leider allzu häufig – mit schwerwiegenden Folgen für unsere Hunde.
Was ist Strafe aus lerntheoretischer Sicht?
In der Lerntheorie spricht man von Strafe, wenn ein Verhalten auf eine Konsequenz hin in Zukunft seltener gezeigt wird. Jede Strafe erzeugt dabei ein unangenehmes Gefühl – zum Beispiel Frust, Unsicherheit oder körperliches Unbehagen. Man unterscheidet:
Positive Strafe: Es wird etwas Unangenehmes hinzugefügt (z. B. ein Leinenruck).
Negative Strafe: Etwas Angenehmes wird entzogen (z. B. Stehenbleiben beim Leinenführigkeitstraining).
Ob eine Maßnahme tatsächlich als Strafe wirkt, hängt nicht vom menschlichen Empfinden, sondern davon ab, ob der Hund sie als unangenehm empfindet. Nicht alles, was wir tun, um Verhalten zu hemmen, hat auch den gewünschten Effekt.
Ein klassisches Beispiel: das Wegschubsen eines Hundes, der an einem hochspringt. Manche Hunde empfinden das tatsächlich als unangenehme Konsequenz – viele Kandidaten jedoch finden das lustig oder interpretieren es als menschliche Art der Spieleaufforderung. In diesen Fällen verstärken wir das Verhalten ungewollt sogar.
Das menschliche Strafdenken:
Schuld und Reue

Im Alltag denken wir bei Strafe oft an Konzepte wie Schuld, Reue, moralische Bewertung – und ein schlechtes Gewissen. Dieses Denken steckt tief in der menschlichen Gesellschaft, ist aber für Hunde völlig unverständlich.
Der „schuldige Blick“, von dem viele Hundehalter berichten, ist keine Reue. Es handelt sich vielmehr um eine beschwichtigende, deeskalierende Reaktion auf die Stimmung des Menschen.
Schuldgefühle und Reue sind Hunden nicht bekannt.
Wann ist Strafe sinnvoll – und wann nicht?

Strafe kann im Training eine Rolle spielen – wie oben angesprochen, ist es der Lerntheorie zufolge bereits eine Strafe, wenn wir beim Leinenführigkeitstraining stehen bleiben oder umkehren, wenn der Hund an der Leine zieht. Ein Hundetraining komplett ohne Strafe - nach der Definition der Lerntheorie - ist fast unmöglich. Bei der Anwendung sind einige Dinge zu beachten, die sicherstellen, dass der Hund auch verstehen kann, was gemeint ist:
Sie erfolgt jedes Mal auf dasselbe Verhalten.
Sie ist so dosiert, dass sie wirkt, aber nie Angst oder Schmerz verursacht.
Sie erfolgt unmittelbar nach dem Verhalten.
Wenn Strafe zur Gefahr wird: Aversive Methoden und ihre Folgen
Der Begriff Aversion leitet sich von dem lateinischen Wort „aversatio“ ab und bedeutet Abneigung oder Ablehnung. Aversive Trainingsmethoden sind solche, bei denen Strafe das Mittel der Wahl ist, um zu versuchen, einen Hund zu „erziehen“.
In der Praxis finden leider immer noch auch tierschutzwidrige Strafen Anwendung. Aversive Methoden setzen systematisch auf Angst, Schmerz oder Einschüchterung. Beispiele sind:
Leinenruck, besonders am Halsband oder an sogenannten „Würgeschnüren“
Führen an einer Rebschnur direkt hinter den Ohren
Rasseldosen, Wurfketten
Wasserspritzen
Knie gegen den Hund stoßen oder andere schmerzende Handlungen
Schreckreize (z. B. Fisher Disc)
Einsatz von Starkzwangmitteln wie Teletakt (Elektroschock), Korallenhalsband oder sogenannten „Führhilfen“, die unter den Achseln oder hinter dem letzten Rippenbogen Schmerzen verursachen

Tierschutzwidrig & verboten: Korallen-Halsband und Elektroschock- Halsband
Diese Methoden verursachen Stress, Angst, Meideverhalten, Vertrauensverlust oder Aggression.

Studien zeigen: Aversives Training belastet den Hund
Eine vielbeachtete Studie von Vieira de Castro et al. (2020) untersuchte die Auswirkungen von aversivem versus belohnungsbasiertem Training. Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache:
Hunde, die mit aversiven Methoden trainiert wurden, zeigten höhere Cortisolwerte im Speichel.
Sie zeigten deutlich mehr Stressanzeichen (Lecken, Gähnen, Wegdrehen).
Auch in neutralen Situationen wirkten sie ängstlicher – was auf eine langfristige Belastung schließen lässt.
Eine weitere Studie von Gal Ziv (2017) zeigte, dass aversive Methoden in Verbindung stehen mit Stress, Angst, Aggression und verringerter Lernfähigkeit. Zudem sind sie nicht wirksamer als belohnungsbasierte Methoden.
Der Hund lernt mehr als du denkst: Stress, Fehlverknüpfungen und erlernte Muster
Wird ein Hund durch aversive Reize wiederholt mit Angst, Schmerz oder Unsicherheit konfrontiert, geschehen mehrere Dinge gleichzeitig – auf körperlicher wie auf emotionaler Ebene. Und diese Prozesse wirken tief. Viel tiefer, als wir es im Moment der Strafe vielleicht wahrnehmen.
Genau wie wir Menschen verfügt auch der Hund über vier grundlegende Strategien, mit Stress umzugehen. Man spricht von den sogenannten vier F’s:
Flirt (Übersprungsverhalten)
Freeze (Erstarren)
Flight (Flucht)
Fight (Abwehr oder Angriff)
Welche Strategie ein Hund in einer bestimmten Situation wählt, hängt von vielen Faktoren ab – darunter seine Lernerfahrung, Rasse, Genetik, Temperament und der Kontext. Besonders gefährlich wird es, wenn der Hund sich für Fight entscheidet – also für Abwehr durch Gegenaggression. Das passiert vor allem dann, wenn andere Strategien nicht mehr zur Verfügung stehen oder bereits gescheitert sind.
Hunde, die auf Schmerzreize nicht mit Rückzug reagieren, sondern mit aktiver Abwehr, stellen für sich selbst und ihre Umwelt eine ernsthafte Gefahr dar – weil sie keine anderen Handlungsmöglichkeiten mehr sehen. Und das ist ein hausgemachtes Problem, das oftmals unwissentlich provoziert wird.

Fehlverknüpfungen: Es kann gefährlich werden

Ein besonders tückischer Aspekt ist das hohe Risiko für Fehlassoziationen. Das passiert vor allem dann, wenn das Timing der Strafe nicht stimmt. Der Hund verknüpft dann nicht sein Verhalten mit dem unangenehmen Reiz, sondern etwas anderes in der Situation.
Ein Beispiel: Ein Hund bellt an der Leine, sobald ein anderer Hund in Sicht kommt. Aus seiner Sicht ist das kein Fehlverhalten, sondern eine logische Reaktion auf Unsicherheit – vielleicht sogar Angst. Durch das Bellen versucht er, den anderen Hund auf Abstand zu halten. Für ihn ist es ein natürlicher Selbstschutz, eine Strategie, um unangenehme oder bedrohliche Situationen zu kontrollieren.
Wenn der Mensch nun in dieser Situation mit einer Rütteldose, einem Leinenruck oder einem anderen aversiven Reiz eingreift, geschieht Folgendes: Der Hund erlebt nicht nur den Stress durch die Anwesenheit des anderen Hundes, sondern zusätzlich den Schreck oder Schmerz durch die Strafe, ausgehend von seinem Menschen. Was lernt er daraus?
Er lernt nicht, dass er sich anders verhalten soll – sondern möglicherweise, dass das Auftauchen eines anderen Hundes immer etwas Negatives bedeutet. Oder schlimmer: Dass Nähe zur eigenen Bezugsperson in Anwesenheit anderer Hunde gefährlich ist. Das Verhalten wurde also nicht verändert, sondern das emotionale Erleben des Hundes verschärft.
Auch häufig: Der Hund verknüpft die Anwesenheit von Artgenossen mit Schmerz oder Stress – etwa durch Leinenruck. Er lernt: Andere Hunde = unangenehm. Die Folge ist nicht etwa weniger Aggression – sondern mehr. Aggression, die erlernt wurde.
Erlernte Hilflosigkeit – wenn der Hund aufgibt
Ein weiteres mögliches Ergebnis aversiver Erziehung ist das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit. Dieser Begriff stammt aus der Psychologie und wurde ursprünglich in Tierversuchen beschrieben (Seligman & Maier, 1967): Tiere, die wiederholt unangenehme Reize ausgesetzt waren, ohne eine Möglichkeit zur Kontrolle oder Flucht, entwickelten den Zustand der völligen Passivität. Sie gaben auf, obwohl sie der Situation später hätten entkommen können.

Auch bei Hunden wurde dieses Phänomen mehrfach beobachtet – insbesondere bei Hunden, die wiederholt und unvorhersehbar bestraft wurden. Sie zeigen dann kaum noch Initiative, wirken „brav“, „still“ oder „ängstlich angepasst“. Doch was oberflächlich wie Gehorsam wirkt, ist in Wahrheit oft das Ergebnis tiefer Resignation. Das natürliche Verhalten wurde nicht gebessert – es wurde abgeschaltet.
Gesundheitliche Folgen
Was oft unterschätzt wird: Auch der Hundekörper leidet unter körperlichen aversiven Methoden.
Die Studie von Bailey et al. (2024) zeigt, dass Leinenrucke am Halsband enorme Kräfte auf empfindliche Strukturen ausüben – insbesondere auf Schilddrüse, Luftröhre, Speiseröhre und Halswirbelsäule. Wiederholte Belastung kann zu Verspannungen, Schmerzen, Atemproblemen und langfristigen Verhaltensauffälligkeiten führen.
Fazit: Verhalten unterdrückt – Beziehung zerstört
Wer regelmäßig mit Druck, Schreck oder Schmerz arbeitet, bewirkt vor allem eines: Verhaltenshemmung. Doch die Ursache bleibt unangetastet. Das Verhalten mag kurzfristig verändert erscheinen. Doch die Beziehung leidet, das Lernen bleibt aus – und der Preis ist hoch.

Alternativen.
Ein Hund braucht Struktur, Verlässlichkeit und klare Grenzen – aber nicht durch Einschüchterung, sondern durch Führung und faire Kommunikation.
Ein klares „Nein“, wenn der Hund etwas zerstören will, ist völlig legitim – das ist Kommunikation. Wichtig ist die richtige Anwendung, der Kontext und das Geben von Alternativen. Hundetraining ist keine Machtfrage.

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